Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Unzulässigkeit mehrerer Richtervorlagen zum strafbewehrten Verbot von Cannabisprodukten festgestellt. Die vorlegenden Gerichte – das Amtsgericht Bernau bei Berlin, das Amtsgericht Münster und das Amtsgericht Pasewalk – erachteten Strafnormen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) für verfassungswidrig, soweit diese den Umgang mit Cannabisprodukten betreffen.
Den inhaltlich nur geringfügig voneinander abweichenden Vorlagen fehlt es bereits an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit aller vorgelegter Strafnormen für das jeweilige Ausgangsverfahren. Im Übrigen genügen sie nicht den erhöhten Begründungsanforderungen, die an eine erneute Vorlage zu stellen sind. Es fehlt an einer substantiierten Darlegung rechtserheblicher Änderungen der Sach- und Rechtslage, welche geeignet sind, eine erneute verfassungsgerichtliche Prüfung der mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 (BVerfGE 90, 145 ff.) entschiedenen Vorlagefragen zu veranlassen.
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zl,ng vorab: Das damalige Urteil auf das sich das Gericht bezieht, hat keine ordnungsgemäße Untersuchung der Sachlage zu grunde liegend und z.T. werden offenkundig falsche Aussagen zur Begründung getroffen. Das Gericht behauptet aktuell, dass es sich mit der Frage nicht beschäftigen müsste, weil sich an der Sachlage nichts geändert hätte. Die fehlende Sachgrundlage des Urteils wurde schon damals von einem Richter kritisiert.
Hier möchte ich aus dem Beschluss vom 9. März 1994 (BVerfGE 90, 145 ff.) zitieren:
Also Nikotin erzeugt zwar erwiesenermaßen ebenfalls einen Rausch und wird genau deswegen konsumiert, auch sind Sucht und körperliche Schäden wesentlich kritischer, als bei Cannabis, aber das Gericht muss sich nicht an Fakten halten.
Alkohol kann man ja auch für den Geschmack trinken, und grundsätzlich würden ja die wenigsten Menschen Alkohol trinken um berauscht zu werden. Das ist zwar auch kompletter Unfug, und deckt sich nicht mit den Erkenntnissen aus der Suchtforschung, aber auch hier ist das Gericht nicht an Fakten gebunden.
Alkohol hat man halt damals nicht verboten, und man muss sich nicht mit der kulturellen Bedeutung von Cannabis auseinandersetzen, weil man das eben schon verboten hatte. Alkohol ist erlaubt weil er erlaubt ist und Cannabis ist verboten weil es verboten ist.
Es gibt eine andere "Sach"lage, die eine Neubewertung erforderlich machen würde. Dann müsste das BVerfG aber zugeben, dass sie damals an vielen Stellen Schwachsinn geschrieben haben.
Dazu auch interessant aus der Abweichende Meinung des Richters Sommer:
Also bereits damals gab es innerhalb der Richterschaft Zweifel an der Sachgrundlage des Urteils, sowie daran, dass der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Überprüfung und Anpassung der Gesetzeslage auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse nachkommt. Seitdem sind 29 Jahre vergangen, in denen es keine wesentlichen Anpassungen im Betäubungsmittelgesetz gab. Die aktuelle Ablehnung durch das BVerfG liest sich wie Hohn angesichts der Mangelhaftigkeit des damaligen Urteils.
Ich bin entsetzt. Wie kann man denn so am Leben vorbeilaufen. So 'ne Spinnerbande.
Der wahrscheinlich wichtigste Teil:
Ich muss sagen ich bin schon etwas enttäuscht, dass nach 3 Jahren so eine Ablehnung kommt, die meinem Gerechtigkeitsgefühl zuwiderläuft.
Es gefällt mir zwar auch nicht, aber ich finde die Argumentation schlüssig. Die Gewaltenteilung ist etwas sehr wichtiges, man will ja schließlich keine Richter die sich über das Gesetz erheben und subjektive, teils willkürliche Urteile raushauen.
Das ist grundsätzlich richtig, aber es geht hier ums Bundesverfassungsgericht. Das ist ganz bewusst als Brücke zwischen Judikative und Legislative konstruiert und als Kontrollinstanz für die Legislative gedacht. Subjektiv oder gar Willkürlichkeit zu vermeiden ist deshalb natürlich noch wichtiger. Jedoch darf man sich fragen, ob das hier passiert ist, wenn man sich ansieht welcher ursprüngliche Beschluss in Kraft gelassen wurde.
Das Bundesverfassungsgericht ist ausdrücklich dafür gedacht, sich über das (einfache) Gesetz zu erheben und dieses ggf zurückzuweisen, wenn es dem Grundgesetz widerspricht. Ein Gericht, das dem Gesetzgeber verbieten kann, Abtreibung zu erlauben, kann ihm auch verbieten, Cannabis zu verbieten.
Aus demokratischer Sicht ist es eigentlich zu begrüßen, wenn das BVerfG dem Gesetzgeber einen möglichst weiten Ermessensspielraum zuweist, aber es hat schon einen Beigeschmack, dass es dies hier tut, wo das Gesetz die Freiheit des Einzelnen einschränkt, und sich da einmischt, wo der Gesetzgeber die Freiheit des Einzelnen erweitern wollte.
Siehe mein Kommentar dazu. Wenn man mal in das damalige Urteil schaut, von dem das Gericht behauptet, es gelte noch immer fort und es würde sich keine andere Sachlage auftun, muss man feststellen, dass das damalige Urteil keine ordnungsgemäße Aufklärung der Sachlage betrieben hat. z.T. sind “Sach”-Aussagen drin, die sich einem als schlichtweg falsch aufzwingen.
Habs grade gelesen, starker Kommentar, danke. Das zieht die ganze Thematik natürlich schon eher in die Zuständigkeit des Gerichts.
Vllt. sind die obersten Gerichte mittlerweile auch vom Fachkräftemagel betroffen. Neulich meinte ein Anwalt zu mir dass derzeit mindestens ein halbes Jahr vergeht bis überhaupt eine Klage gelesen wird aufgrund des Rückstaus. Das rechtfertigt natürlich keine mangelhafte Auseinandersetzung mit Themen die im großen und ganzen wahrscheinlich als “weniger wichtig” abgestempelt werden.
Wäre jemand so nett mir das so zu erklären, als wäre ich 5? Hab heute schon ne Mathe-Klausur hinter mir und mein Kopf ist so leer wie ein Badesee mit Blaualgen.
Das BVerfG hat festgestellt, dass sich seit 1994 nichts geändert hat, und sie sich auf ihr altes Urteil berufen können. Ansonsten haben die Gerichte nicht ausreichend begründet, warum die Kriminalisierung als Ganzes relevant sei, da ja in den einzelnen Verfahren nur einzelne Paragraphen des Gesetzes betroffen sind. Das ergibt zwar keinen Sinn, weil man das Betäubungsmittelgesetz nicht zerpflücken kann, um die Frage für einzelne Stoffe zu klären, aber das BVerfG möchte sich nicht die Mühe machen, hier nochmal sauber neu entscheiden zu müssen.
Hmm, enttäuschend. Und vielen Dank für die Zusammenfassung!